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Interview: Gitane Demone 4.6.1993

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Gitane Demone: Trauer und Liebe

Am 4.6.1993 gab es im Bochumer "Zwischenfall" wieder einmal einen Höhepunkt der Konzertsaison. Gitane Demone, Ex-Sängerin und -Keyboarderin von Christian Death, präsentierte im Rahmen einer Mini-Tournee ihr Solo-Programm.

Wer nur auf den Namen "Christian Death" hin angereist war, ohne über Gitane Demone's aktuelle Arbeit informiert zu sein, dürfte ziemlich erstaunt gewesen sein. Anstelle einer heftigen Gothic-Band hatte sie eine klassische Jazz-Besetzung auf die Bühne gebracht: Schlagzeug, Baß, Saxophon, Piano und Gesang; einige Stücke trug sie sogar nur mit Klavierbegleitung vor. Die Musik war jazzig bis bluesig und der Einfluß von Billie Holiday nicht zu überhören. Insofern war ihr Ausstieg bei Christian Death unvermeidlich; schon dem ChD-Titel "This Is Not Blasphemy" hatte sie mit ihrer ausdrucksstarken Stimme ein paar jazzige Elemente aufgedrückt, aber natürlich konnte sie aus ChD keine Jazz-Band machen.

Die Bühnenshow wirkte streckenweise noch etwas einstudiert, es waren aber nichtsdestotrotz ein paar nette Einfälle drin. Z.B. statt der sonst üblichen Nebelmaschine aus kleinen Tütchen etwas Kreidestaub ins Publikum zu blasen, oder die Vergrößerungsgläser, durch die sie bei "Eye to Eye" in Augenkontakt mit dem Publikum trat. Eine kleine technische Panne mit der PA mitten im Stück meisterte sie routiniert und mit Humor - ich hab noch nie so viele lachende Grufts auf einem Haufen gesehen! Nach einer kurzen Umkleidepause erschien Gitane Demone dann im schwarzen Latex-Anzug, Handschellen und Augenbinde und es ging zum dunkleren Teil des Abends über, der schon mehr an Christian Death-Zeiten erinnerte.

Das Publikum war überraschend aufgeschlossen, was die Musik anging, und forderte mehrere Zugaben. Anscheinend mehr, als Sängerin und Band selber erwartet hatten, denn die letzten Titel wurden von Ansagen wie "Das nächste Stück hab ich schon ewig nicht mehr gesungen..." begleitet. Der Rausschmeißer "Incendiary Lover" schien überhaupt nicht eingeplant, geschweige denn einstudiert gewesen zu sein, und so mußte Gitane Demone ihrer Band das Stück eben auf offener Bühne beibringen: "Das geht dum dum dum dum da dum ... und dann da da da da da..."

Insgesamt verging die Zeit viel zu schnell, ich hätte ohne weiteres noch eine Stunde zuhören können!

Nach dem Konzert hatte ich dann zu nächtlicher Stunde die Gelegenheit, mit Gitane Demone im Backstage-Bereich ein paar Worte zu wechseln.



usch Gitane Demone, ich bin beeindruckt. Ein großartiger Auftritt. Haben wir gerade die Geburt eines neuen Crossovers erlebt - "Gothic Jazz" oder so - oder was war das?
gd (lacht) Dark Jazz, in dem sich die Facetten vieler Interessen zeigen. (lange Pause) Das ist alles, was ich dazu sagen kann! Weißt du... ja, es sind jazzige Elemente drin, aber es hängt von jedem persönlich ab, wie er das aufnimmt und was seine musikalischen Vorkenntnisse sind. Wenn jemand keinen Jazz hört, dann - nun, er wird dann etwas spüren, etwas Ungewohntes spüren. Aber wir spielen eine Menge damit herum, wir versuchen, unsere eigene Sache daraus zu machen. Ich kann mich nicht in irgendeine der traditionellen Musikrichtungen einordnen. Ich mag einiges von den Rhythmen und einiges von den Akkorden, die man im Jazz findet, und wir suchen uns die dunklere Seite heraus, und bringen das Ganze in ein dunkleres Gewand.
usch Was ist mit dem Publikum? Sie kennen dich von Christian Death. Sind sie nicht etwas überrascht, wenn sie diese Art von Musik hören?
gd Mir war ganz schön mulmig zumute, weil ich nicht wußte, welche Art von Publikum ich haben würde. Ich wußte nicht einmal, ob ich überhaupt ein Publikum haben würde. Ich denke, die Leute haben das sehr gut aufgenommen, immerhin ist es nicht die Musik, die sie normalerweise hören. Ich glaube, sie haben eine Beziehung zu dem dunkleren Gefühl darin, und das mag ich ja auch - Ich muß das so machen! Ich muß tun, was ich tue, und ich mußte das voranbringen. Es war eine sehr riskante Angelegenheit für mich. Ich wußte nicht, ob die Leute bleiben oder gehen würden, und ich bin sehr zufrieden. Zufrieden, daß es den Leuten gefallen hat, oder selbst wenn es ihnen nicht gefallen hat, daß sie gekommen sind, um es sich anzuhören.
usch Ich glaube, dem Publikum hat es gefallen.
gd Ja! (lacht)
usch Ich habe gehört, du bist ein Billie Holiday-Fan...
gd Oh ja! Wegen der Ehrlichkeit und Klarheit der Gefühle in ihrer Stimme. Nicht so sehr wegen der traditionellen Form ihrer Musik, aber bei ihrer Stimme kann man nicht anders als fühlen. Selbst wenn man keinen Jazz mag, braucht man nur ihre Stimme zu hören, die Schwingungen, den Klang, die Trauer, das Gefühl, und die Liebe, die Hoffnung auf Liebe darin - ich mußte was von ihr lernen!
usch Die Trauer und die Liebe, sagst du. Das ist ein Gefühl, das man oft im Blues finden, und man findet es auch in "Dark" oder "Gothic Music". Ist das dasselbe Gefühl?
gd (stirnrunzelnd) Ich weiß nicht, was du meinst...
usch Ich meine, gibt es mehr Verwandschaft zwischen Gothic und Blues, als man normalerweise annehmen würde?
gd Ja, in der Tat, ganz bestimmt. Der einzige Unterschied ist, daß der Blues etwas ist, was wir seit zig Jahren hören, und seine Form ändert sich nicht. Gothic Music ist - nun, es geht um dasselbe. Also ich meine, beim Blues sind die Leute sterbenstraurig. Ein Stück wie "Gloomy Sunday", was ich als Cover im Programm habe - es ist zwar kein Blues, sondern eine alte Ballade, aber es ist ein Selbstmord-Song! Sogar zurück bis in die dreißiger Jahre ist die Verwandtschaft noch da. Weißt du, es ist eine Bereitschaft, die dunklen Seiten des Lebens zu ergründen. Das ist komisch, nicht? Gothic Music... Blues... es ist Trauer, Trauer und Liebe, Hoffnung auf Liebe - das ist eine seltsame Art von Romantik! (lacht)
usch Was ist mit deiner neuen Band? Sind das Jazzmusiker?
gd Nein, es sind aufgeschlossene Musiker. Sie sind auch auf der Suche nach einer neuen oder eigenständigen Musik. Ich versuche, das auszudrücken, was ich fühle, und dazu benutze ich verschiedene Arten von Musik, aber sie alle haben diese Hoffnung auf Liebe und ein kleines bißchen Trauer, weil wir wissen, wie schwer es ist, Liebe zu bekommen. Man muß dafür kämpfen. Und ihnen geht es genauso, sie stecken da auch mit drin und sie sind bereit, mit mir zu suchen, es auszudrücken, aber nicht auf eine Art, die man leicht einordnen kann. Ich finde diese Schubladen sehr ermüdend. Weißt du, ich hasse es, wenn man etwas hört und sofort sagen kann "das ist Pop", "das ist Geldmacherei", "dies ist das" und so und so und so - verstehst du, das ist furchtbar langweilig. Deshalb bin ich immer noch auf der Suche, ich suche die ganze Zeit, wie ich meine Gefühle auf meine Art ausdrücken kann, und das ist zwischen den Schubladen. Das schmeißt die ganze Musikbranche über den Haufen, nicht? (imitiert einen dicken, fetten Manager) "Ehm, wir wissen nicht, was wir mit ihr machen sollen!" (lacht)
usch Wo wir über die Musikbranche reden, gibt es Pläne für eine LP in der nächsten Zeit?
gd Tja, das ist etwas, auf das ich lange, lange hingearbeitet habe. Es war sehr schwer, überhaupt irgendwelche Platten zu veröffentlichen. Wenn ich die LP mache, das wird ein Hammer! Es wird ein bißchen mehr Experimentelles und ein bißchen mehr von der dunklen Sorte, dieses Dark Jazz-Zeug. "Surrealistic Jazz" nenne ich das.
usch Hört sich gut an! Werden wir dich hier noch einmal wiedersehen?
gd Ja. Ich soll im Herbst wieder hier sein. Ich freue mich wirklich darauf, weil es ein bißchen ist wie Sterben und dann wieder ins Leben zurückzukehren. (lacht)
usch Okay, Ich bin dabei, wenn ich kann. Tschüs und Danke!
gd Danke, gute Nacht!



Gitane Demone: Sorrow and Love

On June 4th, 1993 Gitane Demone, ex-vocalist and keyboarder of Christian Death, appeared at the "Zwischenfall" in Bochum/Germany, presenting her new solo programme.

Those among the audience who had come just because of the name "Christian Death", without an idea of what Gitane Demone is doing now, must have been quite surprised. Instead of a heavy gothic band she had brought along with her a small jazz ensemble, consisting of drums, bass, sax, and piano; some titles she even sang with sole piano accompaniment. The music was somewhere between jazz and blues with a little 'dark' touch, and her vocals were clearly inspired by Billie Holiday. No doubt why she had to leave Christian Death; even while she gave some jazzy accents to ChD's "This Is Not Blasphemy" with her voice, of course she couldn't turn ChD into a jazz band.

The show sometimes appeared a bit over-rehearsed, nevertheless there were some nice ideas, such as getting in eye to eye contact with the audience through magnifying glasses during the title "Eye to Eye". A little technical problem that arose with the P.A. in the middle of a song she mastered with ease and humour - I've never seen so many laughing goths in one place! Later, after a short pause, Gitane Demone reappeared in a black latex suit, handcuffs, and blindfold, leading into the darker part of the evening that resembled Christian Death a bit more than the first part.

The audience was surprisingly open-minded for that kind of music and demanded several encores. Probably more than singer and band themselves had expected, since the last titles were introduced by announcements like "I didn't sing this one for a long time...". The final song "Incendiary Lover" obviously was not planned at all, still less rehearsed, and so Gitane Demone had to teach her band on stage: "It goes dum dum dum da dum... and then da da da da da..."

Time passed much too quickly; I could have listened to her for another hour!

After the show I had the pleasure to meet Gitane Demone backstage for an interview.



usch Gitane Demone, I'm really impressed. It was a great show. Did we witness the rise of a new crossover - kind of "gothic jazz" - or what was it?
gd (laughs) dark jazz, expressing the facets of many interests. (long pause) That's all I can say about it! You know... yes, there are jazzy elements in it, but it depends on each individual how they take it and what their knowledge of music is. If people don't listen to jazz, then - well, they can recognize some feels, unusual feels. But we are fooling around with it a lot, we're trying to make it our own thing. I can't belong to any sort of traditional group of music. I like some of the rhythms, and I like some of the chords in jazz, the minor chords that are happening in jazz. So we try to take our favourite dark side of it, and take it with this expression into a darker form.
usch What about the audience? They used to know you from Christian Death. Aren't they a bit surprised when they hear that kind of music?
gd It was very, very scary, because I didn't know what kind of audience I would have at all. I didn't know if there would be an audience, and I think that people have taken it very well, because it's not their normal type of listening music. I think they can relate to the darker feeling in it, which is what I love also - I have to do it! I have to do what I'm doing, I had to put it forth. It was a very risky feeling for me. I didn't know if people would stay or leave, so I'm very pleased. Very pleased that people liked it, or even if they didn't like it, that they wanted to come and hear what was going on.
usch I think the audience was enjoying itself.
gd Yes! (laughs)
usch You're a Billie Holiday fan, I'm told...
gd Oh yeah! For the truth and purity of emotion in her voice. Not so much for the traditional format of her music, but in her voice you can't help but feel. Even if you don't like jazz, if you just hear her voice, the textures, the sounds, the sorrow, and the emotion, and the love, the hope for love in it - well, I had to learn from her!
usch You said, the sorrow and the love. That's a feeling you can often find in the blues, and you can find it in "dark" or "gothic" music. Is it the same feeling?
gd (frowns) I don't know what you mean...
usch I mean, are there more relations between gothic and blues than one would normally expect?
gd Well, actually, there are, definitely. The only thing is that the blues is something that we've heard for years and years, and its format doesn't change. Gothic music is - well, it touches on the same subject.
So I mean with the blues people are sad to death, you know. A song like "Gloomy Sunday", which I cover - it's not a blues song, it's an old ballad, but it's a suicide song! Even back in the thirties, the relation is still there. You know, it's a willingness to explore the darker side of life.
It's very funny, eh? Gothic music... blues... it's sorrow, sorrow and love, a hope for love - it's a strange kind of romanticism!
(laughs)
usch What about your new band? Are they jazz musicians?
gd No, they are open-minded musicians. They are also searching to try to make a new or an original kind of music. I'm trying to make an ex pression that I feel, and it's involving several kinds of music, but they all have got this hope for love and a little feeling of sorrow, be cause we know how hard it is to have love. It's struggle. And they are the same, they're also involved in this and they're willing to search with me, to express it, but not in a way that's easily categorized. I get very tired of categories of music. You know, I hate it when you can hear something and instantly say "that's pop", "that's for money", "this is that" - you know, it's incredibly boring.
So I'm really still searching, I'm searching all the time, to express in a way from feeling that's my way, which is between categories. It really fucks off music business, doesn't it?
(imitates some big fat manager:) "Eh, we dunno what to do with her!" (laughs)
usch Talking about music business, are there any plans for an album in the near future?
gd Well, that's something that I've really been working towards for a long long time, to be able to do that. It's been very hard to get any recordings out at all. When I do make the LP, it's gonna be a mother fucker! It's gonna involve a little more experimental and some of the darker kind, of dark jazz stuff. "Surrealistic jazz" I call it.
usch Sounds good! Will we see you again here on stage?
gd Yeah. I'm told that I'll be back in the autumn, in fall. So I'm really looking forward to it, because it's a bit like dying and coming back to life again... (laughs)
usch Okay, I'll be there if I can. Thanks a lot, bye!
gd Thank you, good night!


usch Fri, 16.Sep.2022 00:06:29 CEST